LAUDATIO FÜR PROF. DR. ADAM ZIELIÑSKI
Botschafter Dr. Emil Brix
Am Ballhausplatz, wo die Republik Österreich heute Adam Zieliñski ehren wollte, bin ich vor wenigen Minuten über einen roten Teppich gegangen, der gerade ausgerollt wurde, aber weder für mich noch für Adam. Die Militärmusik hat geprobt und Fahnen wurden bereits aufgezogen - eine österreichische und... eine slowenische. Die Vorbereitungen für die heutige Veranstaltung haben - wenn es dies überhaupt bedürft hätte - wieder einmal bestätigt, daß es für Adam Zieliñski nicht leicht ist, den richtigen Platz in Wien zu finden oder genauer gesagt, daß es für Österreich nicht leicht ist, den richtigen Ort für Adam Zieliñski zu finden. Eigentlich sollten wir heute im Kongress-Saal des Bundeskanzleramtes sein, aber das hat das neue Mitteleuropa verhindert. Slowenien sticht Zieliñski. Am Ballhausplatz werden die Räume kurzfristig für ein Treffen mit dem slowenischen Ministerpräsidenten benötigt und daher wurde die Feier für einen in der heutigen Ukraine geborenen jüdischen Schriftsteller polnischer Muttersprache, der seit 46 Jahren in Wien lebt, in das ehemalige Palais einer ungarischen Adelsfamilie mit slowakischen Verbindungen verlegt. Herzlich willkommen im Palais Palffy. So ist das in Österreich, wo man bis heute nicht genau weiß, wo dieses Land anfängt und wo es aufhört. Es würde mich nicht wirklich überraschen, wenn jetzt aus dem Publikum ein tschechischer Gast ein Transparent gegen das slowenische Kernkraftwerk in Krsko ausrollen würde. Der Ehrengast hat längst den Stoff für seine nächste Geschichte erhalten.

Wer ist Adam Zieliñski?

Bei manchen Menschen ist es besonders schwer zu sagen, wann das "eigentliche" Leben beginnt. Adam Zielinski wird heute als Schriftsteller ausgezeichnet, aber wird dies das letzte, das eigentliche Leben sein? Wann hat sein eigentliches Leben begonnen? Wenn es der 22. Juni 1929 war, dann ist er ein Provinzler aus Drohobycz. Aber wer weiß - hier in Wien - wo das liegt? Wenn sein eigentliches Leben 1939 begann, als Nazideutschland seine schrecklichen Pläne für ein neues Europa umzusetzen begann, dann ist er ein Jude. Wenn es 1941 war, als die Nationalsozialisten seinen Vater erschossen und bald auch seine Mutter starb, dann ist er ein Überlebender. Wenn es 1945 war, als er Opfer ethnischer Umsiedlungspolitik wurde und nach Krakau kam, dann ist er ein Pole. Wenn sein eigentliches Leben 1957 mit der Auswanderung nach Wien begann, dann ist er ein Österreicher, dem die Republik schon nach zwei Jahren die Staatsbürgerschaft verlieh, was heute selbst Fußballspielern kaum mehr in so schneller Zeit gelingt. Wenn es 1961 war, als er sein eigenes Handelsunternehmen gründete, dann ist er Geschäftsmann - und noch dazu ein sehr erfolgreicher. Seit 1989 ist er Schriftsteller - noch ein Leben, begonnen exakt in dem Jahr, als für Europa die Chance seiner Europäisierung möglich wurde.

Bei einem derartigen Lebenslauf wäre es hoffnungslos naiv nicht zu fragen, was wird er noch tun? Obwohl - der Schriftsteller Adam Zieliñski würde wohl die Frage nach dem "eigentlichen Leben" nicht verstehen. Schließlich spekuliert er nicht und hält die Postmoderne schlicht für eine Dummheit. Geschichten, die mit der Wahrheit zu tun haben und ihr zum Durchbruch verhelfen, muß man leben oder schreiben (so wie seinen jüngsten Roman "Wien. Ein Fall"). Aber für mich und viele seiner Freunde ist das nicht alles. Er ist ein Österreicher, wie ihn Robert Musil beschrieben hat: "Der Österreicher läßt sich nie zur Gänze auf sein Tun festlegen. Er wartet immer irgendwie dahinter". Wie kann man das von einem Tatmenschen wie Adam Zielinski behaupten, der alles und gleichzeitig - Pole, Österreicher, Jude, Galizianer, Mitteleuropäer, Kosmopolit - zu mindestens 100 Prozent ist und auch so handelt. Beispiele für seine Tatkraft gibt es viele:

Wenn in Holobutow endlich ein Erinnerungsort für die dort erschossenen jüdischen Intellektuellen von Stryj möglich ist, dann schickt Zieliñski keine Grußbotschaft, sondern einen Gedenkstein, wohl mehrere hundert Kilo schwer. Er mietet ein Flugzeug und motiviert Freunde und Journalisten mit ihm hinzufahren. Und er überzeugt einen Rabbiner, daß in diesem Moment die von ihm geplante Gedenkfeier die wichtigste Sache der Welt ist.

Wenn ihm etwas wichtig ist, dann ist er präsent. Als am 1. Juli 1998 Hongkong an China übergeben wurde, war Zielinski Ehrengast - wohl der einzige aus Galizien. In dem von ihm präzise geführten Lebenslauf ist der Grund dafür mit dem von ihm sonst nicht geliebten Wort "etwa" wunderschön umschrieben. Er war "136 mal in China, 25 mal in Japan und etwa 300 mal in Hongkong".

Im Grand Hotel von Krakau gibt es ein Kaffeehaus. Dort steht Adam Zieliñski, zumindest seine Bronzebüste. Als er 1999 die höchste Auszeichnung der Krakauer Jagiellonenuniversität erhielt, fertigte sie ein polnischer Bildhauer. Heute steht seine Büste dort gemeinsam mit Büsten von zehn anderen Krakauer Professoren, die er in Auftrag gegeben hat. Ich habe öfters dort meinen Kaffee getrunken und er hat - in Bronze - mit strenger Miene zugesehen. Er und seine Freunde der Jagiellonenuniversität haben sich an diesem Ort - auch in kommunistischen Zeiten - oft getroffen. Er könnte bis heute dort sein - der eigentliche Adam und sich wundern, warum er in Wien lebt.

Vielleicht helfen uns dabei Bemerkungen zu der Frage "Was ist ein Österreicher?". Eine Antwort wäre, ein aus Österreich vertriebener Wissenschaftler, sobald er einen Nobelpreis erhält. Aber es gibt nicht nur zynische Antworten auf diese Frage. Adam Zieliñski besitzt gute Voraussetzungen, uns zu erklären, was ein Österreicher ist. Nicht in Österreich geboren, nicht deutscher Muttersprache, ein aufmerksamer Beobachter des Faktums, daß der Antisemitismus nicht tot ist und jemand, der in seinem jüngsten Roman Helmut Qualtinger zitiert: "Ich dachte es sind Menschen, es sind aber leider Wiener!". Vielleicht sind tatsächlich Österreicher solche, die sich am liebsten immer selbst von außen betrachten. Bei Zieliñski wird dabei aber nicht die gefällige Beschreibung des eigenen Bauchnabels zum unbestritteten Mittelpunkt der Welt.

In einer Berliner Zeitung ging es vor einigen Tagen wieder einmal um das Österreichische und seine merkwürdigen Menschen. Der Journalist Gregor Dotzauer ist sich in seiner Beschreibung ganz sicher: "Von Zeit zu Zeit sind antiösterreichische Anwandlungen fast unvermeidlich... Doch was immer man Böses über den selbstzufriedenen Stolz des arrivierten Österreich und seinen fein krawattierten Triumph über den Bodensatz in Rippleiberl und Trainingshose sagen will: Es hat immer schon ein Österreicher zuerst gesagt. Der Kreisler Georg hat's gesungen, der Bernhard Thomas hat's geschrieben, der Deix Manfred hat's gemalt, und der Seidl Ulrich hat's gefilmt. Auch jenseits der Promis sind offenbar soviele Selbstbeschimpfungskünstler unterwegs, dass sich kaum entscheiden lässt, ob das Achtmillionenland mehr Masochisten oder mehr Chauvinisten beheimatet - wenn das dort nicht ohnehin dasselbe ist".

Lassen Sie mich mit Franzobel erklären, warum in Österreich keiner etwas ernst nimmt: "Was aber keineswegs bedeutet, dass der einzelne nicht Ernst genommen werden will. Man legt sich sonderbare, an Kakanien gemahnende Titel zu, was genau das Gegenteil erzeugt, Lächerlichkeit. Und alle neigen zu Extremen. Die Schriftsteller überbieten sich in ihren Österreichbeschimpfungen, die man sowieso nicht Ernst nimmt, die Zukunftsforscher malen den Teufel an die Wand, die Maler beschäftigen sich oft mit Kot und Blut, und die Politiker radikalisieren -alle in der Hoffnung, selber Ernst genommen zu werden. Doch es ist aussichtslos. Niemand nimmt hier jemand Ernst. Niemals."
Adam Zieliñski verweigert sich nicht dem Gelobtwerden. Schon dies stellt in eindeutig in die Reihen der Österreicher. In Österreich ist jemand, der Lob gerne hört, erstens nicht ungewöhnlich und zweitens besonders schwer zu loben, weil er in der Regel schon so viel davon bekommen hat, daß er auch das Lob nicht ernst nimmt. Wie sagt Franzobel: "Niemals".

Aber hier breche ich meine Reise durch das tiefe Österreich lieber ab und sage nur, daß wir stolz sein können, daß Adam Zieliñski ein Österreicher ist, daß er Wien und Österreich wichtig genug nimmt, um darüber zu schreiben und daß er für ein liberales und aufgeklärtes Österreich eintritt, in dem die Vernunft mit Leidenschaft auftritt.

Das alles - und noch viel mehr - ist Adam Zieliñski und deshalb freue ich mich, daß er heute von der Republik das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst erhält. Wenn ich auch nicht weiß, was er noch alles vorhat.

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